Zu Hause in der Welt

Mittlerweile nutzen immer mehr Pädagog*innen ein Sabbatical als Teil ihrer selbstbestimmten Berufs- und Lebensplanung. 

Von Franziska Just

Artikelbild – Zu Hause in der Welt
©Patrick Brauweile
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„Tausche Blick auf den Pausenhof gegen die Sicht von der Inka-Stadt Machu Picchu über die peruanischen Anden!“ – Patrick Brauweiler, ehemaliger Lehrer in Köln, hat diesen Tagtraum während eines Sabbaticals für sich wahr gemacht.

Persönliche Pause auf Zeit vom Job

Mittlerweile nutzen immer mehr Pädagog*innen ein Sabbatical als Teil ihrer selbstbestimmten Berufs- und Lebensplanung. Laut bayerischem Staatsministerium für Unterricht und Kultus befinden sich in Bayern aktuell 718 Lehrer*innen freigestellt in einem Sabbatical und 1.415 Lehrer*innen erhöhen ihre Arbeitszeit für ein zukünftiges Sabbatjahr.

Vielfältige Gründe: Individuelle Freiheit und Reiselust

Mancher nutzt die Freistellung für mehr Zeit mit der Familie, eine Weiterbildung oder eine (Welt-)Reise. Das Bedürfnis nach individueller Freiheit und Selbstbestimmung, Inspiration und Entspannung oder einfach Fernweh – das sind Gründe für eine berufliche Auszeit. Für Brauweiler war der plötzliche Tod seiner Mutter der Schlüsselmoment. Er sagte sich: „Das Leben ist kurz. Wenn du reisen willst, dann jetzt!“ Hanne Saigger-Negele, Grundschullehrerin aus Coburg, nimmt aktuell zum zweiten Mal ein Sabbatjahr. Im ersten Sabbatical reiste sie nach Burma. Im Sabbatjahr 2021/22 hatte sie noch mehr Zeit, um ihre „weißen Flecken“ auf der Reisekarte bunt zu färben.

Couchsurfer und Gipfelstürmer

Brauweiler entschloss sich für Reisen nach Südamerika und Südostasien. Sein großes Ziel, die Inka-Stadt Machu Picchu, hat er erreicht. Von Peru ging es weiter nach Chile und Argentinien. Gebucht hatte er nur einen Hinflug nach Lima in Peru und einen Rückflug von Buenos Aires. Die restliche Reiseorganisation lief per Handy. So buchte Brauweiler alle zwei bis drei Tage eine neue Unterkunft und entdeckte die jeweilige Landeskultur in seinem eigenen Tempo. Zeitweise nutzte er auch das Portal Couchsurfing, um bei Privatpersonen unterzukommen. Nach einer Reisepause in Deutschland startete er nach Südostasien. Von Thailand ging es über Kambodscha nach Vietnam, an das Brauweiler sein Reise-Herz verloren hat.

Selbstbestimmtes Reisen erweitert den Horizont

Saigger-Negele wurde bei der Recherche nach attraktiven Landstrichen, die per Fahrrad zu bereisen sind, auf die EuroVelo 8, eine Fahrradroute entlang des Mittelmeers, aufmerksam. Los ging es per Zug und Rad mit zwei gepackten Fahrradtaschen von Lichtenfels nach Rijeka (Kroatien) und von dort entlang der kroatischen und montenegrinischen Küste bis nach Albanien. Ihre größten Herausforderungen waren die Tourenplanung und der fast tägliche Ortswechsel. Dafür nutzte sie auch den digitalen Routenplaner Komoot. Neben pittoresken „Örtchen“ und Städten fand sie herrliche Landschaften. Als kulturell und geschichtlich besonders spannend erlebte Saigger-Negele ihre anschließende Rundreise durch Albanien sowie ihren Türkeiaufenthalt.

Von „Free-Walking-Tour“ bis Sprachkurs

Neben der Besichtigung historischer Stätten und Museen standen für Saigger-Negele der Blick hinter die Fassaden und persönliche Begegnungen im Vordergrund. Bei sogenannten „Free-Walking-Tours“ in Durres, Tirana oder Berat bekam sie spannende (Insider-)Infos zu Stadt, Land und Leuten. Begeistert stellt sie fest: „Auf dem gesamten Balkan erlebte ich die Menschen immer herzlich, hilfsbereit und offen!“ Auch Brauweiler hat neue Kontakte geknüpft: „Es ging überall schnell, Menschen kennenzulernen. Nicht nur Reisende, sondern auch Einheimische – durch Couchsurfing, in Cafés oder in Bars.“ Brauweiler war auch auf Kulturaustausch-Treffen und belegte Spanisch-Sprachkurse.

Kraft tanken zwischen Superlativen und Slow Travel

Als trainierte Radfahrerin suchte Saigger-Negele auch körperlich neue Grenzen. Beim Auspowern mit Ausblick ist sie auf dem Balkan rund 800 km geradelt, in der Türkei 150 km gewandert und an der Algarve war sie noch mal 300 km zu Fuß unterwegs. Diese Touren waren körperlich herausfordernd und umso erfüllender. Dabei hat Saigger-Negele keinesfalls „Kilometer geschrubbt“. Im Gegenteil, das selbstbestimmte Unterwegssein im eigenen Rhythmus ohne Zeitdruck macht für sie das Sabbatical aus. Deshalb reist sie im Sinne von „Slow Travel“ mit Zug, Bus, Rad oder zu Fuß. Brauweiler schildert das so: „Mal wirklich Zeit haben und sich treiben lassen. Auch mein Alltag ist entschleunigter geworden, weil ich merkte, wie wohltuend es ist, sich in Dinge zu vertiefen. Diese Ruhe und Achtsamkeit rufe ich mir auch heute immer wieder in Erinnerung!“

Mehrwert – Eine Frage der (Herzens-)Bildung

Das Zwischenfazit in der Reise-Halbzeit von Weltenbummlerin Saigger-Negele ist positiv: „Ich habe viel Neues entdeckt und bin gesund geblieben!“ Wenn sie im Herbst wieder in den Lehrer*innenalltag geht, hat sie viele Erlebnisse im Gepäck, von denen auch ihre Schüler*innen profitieren: „Die Erfahrungen lassen mich vieles mit anderen Augen sehen und Situationen mit mehr Gelassenheit angehen!“ Sie ergänzt: „Bildung ist unheimlich wichtig – keine Frage! Doch muss Bildung auch immer Herzensbildung enthalten!“

Der (berufliche) Weg ist das Ziel

Nach dem Sabbatjahr hat Brauweiler das eigene Berufsleben grundsätzlich überdacht. Mit den Erfahrungen der Selbstbestimmung und Freiheit hat er einen beruflichen Neuanfang gewagt. Heute arbeitet er als Berater und Trainer. Ob Lehrkraft oder Berater: Beide haben neue Anregungen und einen offenen Blick für den Arbeitsalltag gewonnen. Brauweilers Fazit zum Sabbatical ist eindeutig: „Es war das schönste Jahr meines Lebens!“